Mit Motorrädern ist es wie mit schönen Frauen, viele Reize bringen den Verstand aus dem Gleichgewicht und lassen jede rationale Entscheidung nichtig werden. Mit der 1299 Panigale hat Ducati ein Superbike im Programm, das wohl jede Form von Rationalität im Keim erstickt
Berlin im Januar 2015 – 2 Grad und Nieselregen. Ideale Voraussetzungen für eine Reise an die Sonne. Umso erfreuter nahm ich die Einladung zur Vorstellung und Fahrprobe der Ducati 1299 Panigale S an und machte mich auf den Weg nach Portugal um die 205 PS starke und nur 166,5 KG leichte Nachfolgerin der 1199 kennenzulernen.
Schon auf dem Papier – die technischen Daten beeindrucken
Diese hatte ich bereits 2012 auf dem Sachsenring bei tropischen Temperaturen erleben dürfen. Was mich jetzt erwartete war jedoch nochmal eine Steigerung – eine Steigerung von 87 ccm Hubraum, 10 PS und 12 NM Drehmoment – das ergibt ein Leistungsgewicht von 0,81 KG pro PS und macht die Ducati zum weltstärksten 2 Zylinder Motorrad das je in Serienproduktion gebaut wurde. Beim Start in Berlin Tegel fange ich an zu vergleichen – Boeing 737-700 gegen 1299 Panigale S, wer macht da wohl das Rennen? Ich frage beim Piloten nach und erfahre, dass die Maschine in ca. 20 Sekunden bei voller Leistung die Abfluggeschwindigkeit von 220 km/h erreichen würde – leer wohl gemerkt. Den ersten Sieg fährt die Panigale also schon vor dem Test ein, erfahrene Piloten schaffen diesen Sprint in unter 10 Sekunden. Zugutehalten muss man der Boeing natürlich, das leer in dem Falle immer noch 52,6 Tonnen entspricht.
In Portugal scheint die Sonne, 18 Grad laden zu einem Kaffee am Straßenrand ein und lassen Winterdepressionen vergessen. Schnell merke ich, wie es mir fehlt mit dem Motorrad unterwegs zu sein und wie sinnlos doch Winter und Saisonkennzeichen sind. In die Vorfreude mischt sich Respekt. Respekt vor den Urgewalten des nochmals erstarkten V2, der gewaltige 116 mm breite Kolben aufweist und natürlich Respekt davor in ein paar Stunden mit erfahrenen Piloten auf der Rennstrecke zu „erfahren“, wie Antrieb, Elektronik und Fahrwerk ein hoffentlich extrem tollen Bundle abliefern werden. Im Vorfeld ist mir eigentlich schon klar, dass das schwächste Glied in dieser Kette wohl ich sein werden, bin ich doch sonst auf einem im Vergleich eher langsameren Gefährt unterwegs. Ich freue mich allerdings auf den Erfahrungsaustausch und bin sicher, den einen oder anderen Kniff erfahren zu können.
Autódromo Internacional do Algarve – 4,7 KM voller Höhen und Tiefen
Am nächsten Tag geht es früh zum Rennstrecke nach Portimao. Der Kurs verspricht viel Abwechslung, denn neben Kurven gibt es diverse Senken und blinde Stellen, echtes 3D also. Auf der Pressekonferenz sehe ich sie dann endlich Live und in Farbe. Verdammt sexy steht sie da, in der einzig lieferbaren Farbe – rot. Schon auf dem Podest wirkt das Motorrad extrem potent, sexy und ich höre die Stimme in mir die ruft „Los los steig auf und sei unvernünftig, guck was das Bike kann“. Vorher jedoch suche ich nach optischen Unterschieden zur Vorgängerin. Diese finde ich im neuen Front Design mit den bei der S Version serienmäßigen Voll LED Scheinwerfern in der Verkleidung, die nun eine bessere Aerodynamik liefert. Für die Fahrer, die die 1299 gern bei Langstreckenrennen einsetzen wollen, spendiert Ducati die bequemere Sitzkissen der 899. Technisch ist die Liste der Neuerungen natürlich noch etwas länger. Das Gewicht blieb trotz größerem Motor unverändert. Die 1299 besitzt nun ein abschaltbares Kurven ABS der neuesten Generation das obendrein noch 1 Kilogramm leichter ist als zuvor und andere elektronische Nettigkeiten wie eine Wheelie Control und einen Quickshifter der nicht nur rauf, sondern auch runter kann. Weiterhin besitzt der Motor neben neuen Kolben, Pleueln und Kurbelwelle eine Dekompressionseinrichtung die es ermöglicht Anlasser und Batterie sehr klein zu dimensionieren was auch Gewicht spart. Damit die Mehrleistung auch den Weg ins freie findet verfügt die neue Auspuffanlage über einen noch größeren Durchlass. Dazu gibt es, neben einer leicht veränderten Fahrwerksgeometrie, in der S Version ein vernetztes Fahrwerk von Öhlins.
Kurven ABS – Wheelie Control und 205 PS – der Fahrer ist das schwächste Glied
Genug der Theorie – raus auf die Strecke. Es ist feucht, es nieselt. Die Strecke ist neu für mich, das Motorrad so oder so und die die Reifen vom neuen Typ Pirelli Diablo Supercorsa SC haben noch die Aufkleber auf der Lauffläche. „Macht langsam – erstmal hinter dem Testfahrer Allessandro Valia her.“ Doch das gelingt mir nicht auf Anhieb. Die ersten Meter verfluche ich die Panigale. Ja, ich habe sogar Angst. Bei wenig Last fühlt sich das Motorrad nicht gut an, wie ein Kind das im Spielzeuggeschäft nicht gucken darf oder ein Hund der an der kurzen Leine geführt wird bockt die Panigale – sie möchte losgelassen werden, braucht Drehzahl und Zug. Rückwirkend weiß ich nicht ob diesen Verhalten dem Motorrad zuzuschreiben ist oder mir, schließlich galt es vieles neues in kürzester Zeit zu verarbeiten.
Nach ein paar Runden werde ich mutiger, die Straße trocknet ab und der Fahrmodus wechselt von „Wet“ auf „Sport“. Aus meiner Angst wird nun Spaß. Das Motorrad setzt nun Gasbefehle viel spontaner um, die vollen 205 PS stehen zur Verfügung. Ich erhöhe das Tempo, schöpfe Vertrauen und das Zusammenspiel der Bordelektronik funktioniert sehr gut. Runde um Runde nähern sich die rote Schönheit und ich uns mehr an, werden schneller und Bremsen später. Sie macht Spaß und zwar soviel, das ich mich ständig verschätze und korrigieren muss. Die nächste Kurve kommt so schnell angeflogen wie ich es von meiner betagten Supersport nur erahnen würde. Um das wahre Potential zu erfahren bräuchte ich sicher ein paar Tage. Dies merke ich auch am Rest des Testfeldes, dieses besteht aus Fahrern bekannter Magazine von denen wohl alle Erfahrener als ich sind. Egal – einer muss die rote Laterne tragen. Immerhin kann ich mir bei jedem überholt werden ein wenig Linie abgucken und lerne.
Der Superquadro der Panigale hat 15% mehr Schub als der Vorgänger
Der Motor reißt oberhalb von 7.000 u/min bärenstark an und zieht Dir die Arme lang, 280 km/h sind leicht erreicht. Das Drehmomentloch der 1199 ist deutlich verringert, die Mehrleistung von ca. 15% im mittleren Bereich deutlich spürbar. Auch bei geringen Drehzahlen und im hohen Gang möchte das Vorderrad in die Luft steigen, regelt die Traktionskontrolle sensibel und für den Fahrer kaum spürbar. Dazu verwöhnt der Auspuffsound schon original mit einer Melodie, von der man auch Nachts noch träumt. Falls bei den Berliner Philharmonikern ein neuer Bass gebraucht wird – Bitteschön, dieser sieht sogar verdammt gut aus. Das Getriebe der Panigale 1299 S schaltet präzise und mit deutlichem Feedback. Als Neuerung kann der Quickshifter unterhalb von 10.000 u/min sogar ohne Kupplungseingriff herunterschalten. Was am Anfang noch komisch war habe ich mit den Kilometern als sehr angenehmes Feature empfunden. Die Brembo Monoblocs der M50 Generation am Ende der Gerade machen dann mindestens nochmal genauso viel Spaß. Präzise mit 2 Fingern staucht man die Maschine zusammen, immer mit einem super Gefühl fürs Vorderrad und mit einem sehr sehr späten ABS Regeleinsatz. In die Kurve Bremsen leicht gemacht. Im Sport Modus ist das ABS noch komplett aktiv, aber mehrstufig regelbar. Im Race Modus hingegen ist es nur noch vorne aktiv, auch die Wheelie Control ist dann deaktiviert. Wer will kann das ABS auch komplett deaktivieren. Ich habe darauf verzichtet die Bremseigenschaften dann zu probieren.
Die Performance begeistert – nie warst du schneller auf 2 Rädern – ein Fahrbericht der 1299 Panigale S
Im Vergleich zu alten Ducatis zwar leicht nervös dafür aber extrem agil kippt die Panigale in die Kurve, Schräglagen von 48 Grad waren spielerisch möglich und im Display mit der serienmäßigen Schräglagenanzeige ablesbar. Der abgeschliffene Knieschleifer bestätigt diesen Wert. Das an der S Version verbaute Öhlins Smart EC Fahrwerk ist ein semi aktives System (die normale Version verfügt über ein konventionell einstellbares Fahrwerk). Die Dämpfung erfolgt je nach gewähltem Modus entsprechend der gerade vorherrschenden Situation (Brems- Beschleunigungsvorgang, gewählter Fahrmodus), kann aber noch vom Fahrer entsprechend verändert oder sogar komplett deaktiviert werden. Ich habe die Grundeinstellung jeweils etwas härter gestellt, die semi aktive Fahrwerk aber aktiviert gelassen. Dies hat das Gefühl für das Motorrad nochmals verbessert, besonders das Vorderrad war extrem transparent und vermittelte die Sicherheit die zum heizen nötig ist. Von der elektronischen Regelung habe ich nichts gemerkt, ein Zeichen wie gut sie funktioniert.
In der Mittagspause schaue ich mir die Strecke nochmals an, schaue wo ich besser werden muss und wo ich die Stärken des Motorrades noch weiter nutzen muss. Da ich viele 2 Ventiler fahre, drehe ich den Motor viel zu wenig, rufe die volle Leistung zu selten ab. Im nächsten Turn merke ich wie ich Runde um Runde schneller werde, immer öfter rufe ich die Leistung ab, lasse den Motor drehen und merke welcher Orkan da entfesselt wird. Wahnsinn wie diese 116 mm großen Kolben innerhalb kurzer Zeit solch hohe Drehzahlen erreichen können. Ich vertraue darauf, dass Einlenkpunkte auch in der nächsten Runde noch am gleichen Ort sind, egal ob man die Strecke einsehen kann oder nicht. Umso schneller ich werde, umso mehr merke ich wie anstrengend es ist das Motorrad wirklich schnell zu bewegen. Die extremen Geschwindigkeiten fordern Geist und Körper mehr als ich gedacht habe – trotz Temperaturen um 12 Grad ist mir verdammt warm. Viel zu schnell kommt der Regen, die rot Flagge (das einzig rote an dem Tag was mir wirklich gar nicht gefallen hat) und der Spaß ist vorbei. Viel zu schnell stelle ich meine Panigale 1299S in der Box ab – wehleidig und traurig – wer entlässt schon eine tolle Frau nach einem tollen Date ohne zu wissen ob und wann er sie wiedersehen wird.
Nix für große Füße – die Rasten der 1299 Panigale
So gesehen ein wirklich großer Wurf und ein tolles Motorrad. Gibt es keine Kritik? Doch 1 Punkt hat mir nicht gefallen. Der Seitenständer wird so elegant von der an für sich sehr griffigen Raste versteckt, so dass ein Runterklappen viel Übung erfordert und dies ist nicht immer intuitiv möglich gewesen. Auch auf der anderen Seite Licht und Schatten bei den Rasten. Griffig ja, aber mit wenig Freiraum zum Schalthebel präsentiert sich die linke Raste.
Fahrwerk, ABS & Co – die 1299 ist variabler als ein IPad
Aber ein Punkt verdient meiner Meinung nach Beachtung. Die Ducati verfügt über modernste Bosch Bordelektronik. Bremse, Fahrwerk und Antrieb sind miteinander vernetzt und bieten neben 3 Fahrmodi (Wet, Sport, Race) die jeweils unterschiedliche Motorcharaktere mit sich führen ein geballtes Paket an Assistenzsystemen
- Kurven ABS, mehrstufig, abschaltbar
- DWC – Ducati Wheelie Control
- DTC Ducati Traction Control
- EBC – Electronic Brake Control
- DQS – Ducati Quick Shifter
- Automatisches Reifenkalibriersystem
- Semi aktives Öhlins Fahrwerk inkl. Lenkungsdämpfer
Alle diese Systeme sind konfigurier oder sogar abschaltbar, die Wheelie & Traktionskontrolle sowie die Motorbremse kann sogar mittels neuer Taster am Lenker während der Fahrt verstellt werden (nur im Racemodus). Das alles ergibt eine nie dagewesene Möglichkeit, das Motorrad an persönliche Bedürfnisse und Nutzungsgewohnheiten anzupassen. Das Cockpit steht in Größe und Funktionsumfang einem aktuellen Smartphone in nichts nach. Ich habe ein paar der Einstellungen während der Fahrt ausprobiert. Tatsächlich ist eine Veränderung der jeweiligen Parameter in der Praxis spürbar. Wehe jedoch wenn man sich mit den Einstellmöglichkeiten nicht intensiv auseinandersetzt oder halbherzig daran herumdoktert. Schnell wird das ach so harmonische Motorrad aufgrund völlig verkorkster Einstellungen zu einem unharmonischen Bock – gar nicht mehr sexy. Das Motorrad ist also endgültig in der modernen digitalen Welt angekommen, mit allen Vor- und Nachteilen zugleich.
Bye Bye Portimao, bye bye Panigale – Ich vermisse Dich!
Auf dem Weg nach Hause bin ich wieder nachdenklich. Es war ein tolles Erlebnis die Panigale 1299 S vor vielen anderen auf der Rennstrecke testen zu dürfen. Die Erlebnisse zählen sicher zu einem meiner Highlights der noch jungen Saison 2015. Und ja sie hat es geschafft – herrlich unvernünftig, eigentlich völlig sinnlos und doch so verdammt begehrenswert. Die Panigale fesselt dich, entweder du hasst sie für Ihre Sinnlosigkeit oder du vergötterst sie – als die wohl schönste Möglichkeit 205 PS aus 2 Zylinder auf 2 Rädern zu erleben – Danke Ducati für diese Unvernunft.
Technische Daten Ducati 1299 Panigale
Motor: Superquadro – 90° V2 Motor, 1285 ccm, desmodromische Ventilsteuerung
Bohrung x Hub: 116 mm x 60,8 mm
Kompression: 12,6 : 1
Leistung: 205 PS bei 10.500 u/ min, 144,6 NM bei 8.750 u/min
Getriebe: 6 Gang mit Quickshifter up /down
Kuppung: hydraulische Ölbadkupplung, Servounterstützt, Anti-Hopping
Federung vorne: Öhlins NIX30 Gabel, 43mm, elektronisch einstellbare Zug- und Druckstufe, 120 mm Federweg
Federung hinten: einstellbares Öhlins TTX36, Zug- und Druckstufe elektronisch, 130 mm Federweg
Bereifung: 120 / 70 ZR17 auf 3,5×17 Felge und 200/55 ZR17 auf 6×17 Felge
Bremse vorn: 2x 330 mm Bremsscheibe, Brembo Monobloc M50 Sättel (4 Kolben) abschaltbares Kurven ABS
Bremse hinten: 245 mm Bremsscheibe, 2 Kolben Bremssattel, abschaltbares Kurven ABS
Leergewicht: 166,5 KG (komplett Trocken, ohne Batterie)
Fahrgewicht: 190,5 KG (inkl. 90% Benzintankfüllung)
Sitzhöhe: 830mm
Radstand: 1437 mm
Lenkkopfwinkel / Nachlauf: 24° / 96mm
Tankinhalt: 17 Liter
Wartung: alle 12.000 KM / Ventilspielkontrolle alle 24.000 KM
Elektronikpaket: Riding Modes, Power Modes, Kurven-ABS, DTC, DQS up/down, DWC, EBC, automatische Reifenkalibrierung, LED-Scheinwerfer, Öhlins Smart EC / Semi-aktives Fahrwerk mit Lenkungsdämpfer, Vorbereitung für Hilfstasten, Vorbereitung für DDA+
Farbe(n): rot, schwarze Felgen
Preis: ab 25.490 €
Ducati 1299 Panigale
Test der neuen Ducati 1299S Panigale auf dem Racetrack de Algarve im französischen Portimao
Ein Traum. Wird wohl auch noch ein wenig einer bleiben. Aber ein sehr schöner und ausführlicher Bericht mit tollen Bildern.